Liberalisierung der Bankenwelt nach 1957

Organisatoren
Arbeitskreis Bank- und Versicherungsgeschichte der Gesellschaft für Unternehmensgeschichte (GUG); Dresdner Bank AG
Ort
Frankfurt am Main
Land
Deutschland
Vom - Bis
25.01.2008 -
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Von
Katrin Lege

Am 25. Januar 2008 veranstaltete die Gesellschaft für Unternehmensgeschichte (GUG) ihre 6. Sitzung des Arbeitskreises Bank- und Versicherungsgeschichte mit dem Thema Liberalisierung der Bankenwelt nach 1957. Gastgeber war die Dresdner Bank AG in Frankfurt am Main. Als Vertreter des Gastgebers sprach MICHAEL HEISE, Chefvolkswirt der Allianz Group/Dresdner Bank, die Grußworte. Der Arbeitskreisvorsitzende PETER BORSCHEID (Universität Marburg) gab eine kurze Einführung in die Sitzung.

Als erster Redner sprach MARVIN BRENDEL (Berlin) über die Bankgenossenschaften in der DDR.1 Sein Vortrag fußte auf den Forschungen für seine Dissertation zum Thema Bankgenossenschaften und gab einen Überblick über die Situation der Genossenschaftsbanken in Ostdeutschland nach dem Krieg bzw. nach Gründung der DDR. Dort wurden die Banken als Staatseigentum den Mechanismen der Planwirtschaft unterworfen. Sie standen untereinander nicht in Konkurrenz, sondern waren verschiedenen Kundengruppen und Aufgabenbereichen zugeteilt; so hatte zum Beispiel die Bank für Handel und Gewerbe (ehemals Volksbanken) die Versorgung der Bevölkerung mit Handel und Dienstleistungen sicherzustellen. Die Bäuerlichen Handelskassen (ehemals Raiffeisenkassen) wiederum sollten durch ihre Tätigkeit die Bodenreform unterstützen und Sparkassenfunktion für die Landbevölkerung übernehmen. Merkmale des Bankwesens in der DDR waren der staatliche Einfluss, die Beschneidung der Geschäftsfelder und die Begrenzung auf bestimmte Kundengruppen. Statt genossenschaftlich autonom handeln zu können, waren die Banken vielmehr der verlängerte Arm der staatlichen Wirtschafts- und Finanzpolitik.

FRIEDERIKE SATTLER (Zentrum für zeithistorische Forschung, Potsdam) stellte in ihrem Beitrag das langjährige Vorstandsmitglied der Dresdner Bank und den Mitbegründer des Deutschen Investment Trust (dit) Ernst Matthiensen vor (Ernst Matthiensen: Engagement für die Liberalisierung und Internationalisierung des westdeutschen Kapitalmarkts 1957-1965). Matthiensen, der bereits 1937 in das Börsenbüro der Dresdner Bank in Berlin eingetreten war, trug in der Nachkriegszeit dazu bei, die Bank als eine börsen- und kapitalmarktorientierte Händlerbank zu profilieren. Nicht nur im Vorstand der eigenen Bank, auch im Vorstand der Frankfurter Börse, in den Fachgremien des Bank- und Börsenwesens, in der Publizistik und mit Vorträgen im In- und Ausland setzte er sich für die Wiedereinbindung des deutschen in die internationalen Kapitalmärkte ein. Er konnte dabei auch von seinen Verbindungen in die USA profitieren, die er in den 1920er- und 1930er-Jahren als Mitarbeiter der Süddeutschen Disconto-Gesellschaft bzw. des jüdischen Privatbankiers Gustav Würzweiler in Mannheim geknüpft hatte. Als überzeugter Europäer warb er schon 1962 für die Schaffung einer „Europa-Währung“. Ernst Matthiensen war ein börsenorientierter Bankier, der in volkswirtschaftlichen Zusammenhängen dachte und aus ihnen sehr konsequent bankgeschäftliche wie kapitalmarktpolitische Handlungsoptionen ableitete, auch als sich zu Beginn der 1960er-Jahre wachsende konjunktur- und währungspolitische Einflüsse der wiederangeknüpften internationalen Verflechtung zu zeigen begannen, die erhebliche Steuerungsprobleme für die westdeutsche Wirtschafts- und Währungspolitik bewirkten.
RALF AHRENS (Universität Jena) beschäftigte sich in seinem Vortrag mit der Organisationsreform der Dresdner Bank in den 1970er-Jahren (Von der „Wiedervereinigung“ zur Zentralisierung : Die Organisationsreform der Dresdner Bank um 1970). Ahrens stellte Karl-Friedrich Hagenmüller in den Mittelpunkt seiner Darstellungen. Hagenmüller war Professor für Bankbetriebslehre an der Universität Frankfurt, ehe er 1966 als stellvertretendes, und ab 1967 dann als ordentliches Mitglied in den Vorstand der Dresdner Bank berufen wurde. Im Rückblick auf die Geschichte der Dresdner Bank nach dem Krieg – Zerschlagung in zunächst elf Teilinstitute, Rezentralisierung auf drei regional operierende Institute mit drei Hauptverwaltungen sowie „Wiedervereinigung“ zur Dresdner Bank AG unter Beibehaltung der verschiedenen Hauptverwaltungen - erläuterte Ahrens das Organisationsdefizit der Dresdner Bank Anfang der 1970er-Jahre. Änderungsdruck bestand zudem dadurch, dass alle Großbanken in dieser Zeit Marktanteile an Sparkassen und Genossenschaftsbanken abgeben mussten. Hagenmüller führte eine „Reform an Haupt und Gliedern“ durch, indem er den Vorstand in Frankfurt zentralisierte und eine klare Trennung der Vorstandsressorts einführte. Auf der Filialebene entstanden 14 Niederlassungen mit Weisungsrecht an die jeweiligen Geschäftsstellen. Insofern stand der Zentralisierung auf der zentralen Ebene eine Dezentralisierung auf der mittleren Ebene zur Seite. Organisation, „planvolle Steuerung“ der Unternehmensabläufe, die ersten Anfänge von Corporate Identity sowie Marketing sind die Kennzeichen der von Ahrens vorläufig als „Hagenmüller-Reform“ getauften Veränderungen in der Struktur der Dresdner Bank um 1970, die damals in dieser Hinsicht Vorreiter unter den deutschen Großbanken war.

Im letzten Vortrag der Sitzung (Zur Krise bei den Kreditbanken und Sparkassen in Nordeuropa zu Beginn der 1990er-Jahre – eine Sequenz aus Deregulierung, Krise und Staatseingriff in Norwegen, Schweden und Finnland) beleuchtete JAN KÖRNERT (Universität Greifswald) die spezifischen Bedingungen des Wirtschaftslebens in Schweden, Norwegen und Finnland. Der Fokus des Interesses lag hier auf der Analyse der „inneren Logik“ der insgesamt drei Bankenkrisen, die Skandinavien in den 1990er-Jahren erschütterten. Die Volkswirtschaften in Nordeuropa waren in den 1980er-Jahren durch weitreichende Deregulierungen gekennzeichnet. Diese Entwicklung wurde von einer exzessiven Kreditvergabe der Banken begleitet und ließ unter anderem Zinsänderungs- und Kreditausfallrisiken anschwellen. Da das bankbetriebliche Risikomanagement seiner Kontrollfunktion nicht nachkam, verschlechterte sich die Erfolgslage vieler Banken dramatisch und führte zu Beginn der 1990er-Jahre zu Bankenkrisen in Norwegen, Schweden und Finnland. Die als „bad banking, bad policies and bad luck“ zu bezeichnenden Ursachenebenen und die aus Deregulierung, Krise und Staatseingriff bestehende Abfolge von Krisenablauf und -bewältigung muss die Einsicht fördern, dass angemessenes Risikomanagement der Banken sowie eine anreizorientierte und zielkompatible Ausgestaltung der Bankenaufsicht von höchster Wichtigkeit sind.

Das Thema Liberalisierung der Bankenwelt nach 1957 wurde bei diesem Arbeitskreis der GUG aus zwei verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet. Zum einen wurden handelnde Personen in das Zentrum des Interesses gerückt, sodass der Strukturwandel in der Bankenlandschaft der 1960er- und 1970er-Jahre gleichsam ein Gesicht bekam. Zum anderen wurden durch die Betrachtung der Bankenwelt in vom restlichen Europa „abgesonderten“ Ländern unterschiedliche Auffassungen von Bankwirtschaft sowie vom Umgang mit Krisen sichtbar.

Konferenzübersicht:

Begrüßung
Prof. Dr. Michael Heise, Chefvolkswirt Allianz Group/Dresdner Bank
Prof. Dr. Peter Borscheid, Universität Marburg (Vorsitzender des Arbeitskreises)

Marvin Brendel, Geschichtskombinat Berlin/Basel: Bankgenossenschaften in der DDR

Dr. Friederike Sattler, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam: Ernst Matthiensen: Engagement für die Liberalisierung und Internationalisierung des westdeutschen Kapitalmarkts (1957 - 1965)

Dr. Ralf Ahrens, Universität Jena: Von der 'Wiedervereinigung' zur Zentralisierung: Die Organisationsreform der Dresdner Bank um 1970

Prof. Dr. Jan Körnert, Universität Greifswald: Zur Krise bei den Kreditbanken und Sparkassen in Nordeuropa zu Beginn der 1990er Jahre – eine Sequenz aus Deregulierung, Krise und Staatseingriff in Norwegen, Schwe¬den und Finnland

Anmerkung:
1 Rebecca Belvederesi (RWTH Aachen), die den ersten Vortrag über _Sparkassen: Die Institute des kleinen Mannes? ursprünglich halten sollte, hatte ihre Teilnahme krankheitshalber absagen müssen.


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